See you in Hell

Der etwas andere Friedrichhofnachruf

 

Ich wurde informiert, dass es einen neuen Film über den Friedrichshof gibt. Die AAO Kommune hatte ja schon immer Schlagzeilen gemacht und es gab bereits die bemerkenswerte Dokumentation ‚Meine k(l)eine Familie‘, die gespickt mit Originalfilmaufnahmen war. Dieser hier würde ein Spielfilm sein. Ein Spielfilm über die neuere deutsche Geschichte, die auch viel Einfluss auf meinen Lebensmittelpunkt hatte.

Auch wenn ich überrascht war über die plötzliche Aufmerksamkeit, die dies Projekt bekam, wollte ich mir den Film doch ansehen. Schon die Überlegung, wie und wann man Karten erwirbt, fiel mir nicht leicht. Ich dachte nicht, dass der Film so großes Interesse erregen würde, lief er doch in einem kleinen Kino in Kreuzberg. Ich dachte auch nicht, dass man im Movimento online reservieren kann, obwohl dies wahrscheinlich geht, aber ich habe es gar nicht probiert. Ich ging einfach vorbei, da ich so wie so in Berlin war und dachte noch so bei mir, die werden schön schauen, wenn jemand um 17 Uhr vorbeikommt, um Karten für einen Film um 19 Uhr kauft, zumal nur zwei Karten verkauft wären bis dorthin. Ich dachte nicht, dass der Film wirklich viele Menschen interessieren würde. Allenfalls dachte ich, dass ich einige Menschen aus dem Berliner Netzwerk dort treffen würde. Aber alle meine Erwartungen wurden enttäuscht. Um ein Haar hätte ich keine Karte mehr bekommen, das Kino war fast ausverkauft.

Als ich eine halbe Stunde vor Vorstellungsbeginn mich im Kino einfand, wurde mir auch klar warum. Es war eine Aufführung bei der der Hauptdarsteller Clemens Schick, den ich lustigerweise vor ein paar Tagen in einem alten Tatort gesehen hatte, der Regisseur Christopher Roth und die Drehbuchautorin und Heldin des Films Jeanne Tremsal anwesend waren. Vielleicht daher das große Interesse, in jedem Fall machte es genau diese Aufführung zu etwas Speziellem. Im Kino wurde angekündigt, dass man nach dem Film ins Gespräch kommen könnte.

Das Kino war, wie gesagt ausverkauft, gar nicht so groß, es werden etwa 50 Menschen gewesen sein. Ich saß eingeklemmt zwischen meinem Sitznachbarn und der Wand und von der Luftqualität sollten wir schweigen. Doch wesentlich beklemmender war der Einstieg in den Film. Es beginnt mit einer ausgedehnten SD, inklusive Hierarchieaufstellungen und Rauswürfen aus der Gemeinschaft, ‚weil er sich verliebt hat.‘ Ich kämpfe damit dem Film zu beschreiben ohne zu viel zu spoilern, doch es ist kein Film, bei dem dies so relevant ist. Die Fakten sind bekannt, auf die Darstellung kommt es an. Das Otto sich zum Ende der Kommune hin, das ist die Zeit in der der Film spielt, als absolutistischer Alleinherrscher aufspielte, ist ebenso bekannt, wie die Tatsache, dass bei der freien Sexualität keine Rücksicht auf Altersgrenzen genommen wurde.

Interessant ist, dass Tremsal hier eine Liebesgeschichte ansiedelt. Ihre Liebesgeschichte mit Jean und was, allein schon wegen der Namensähnlichkeit, eine kitschige Romanze sein könnte, wird zur offenen Frage.

Wie sollen wir leben? Wie sollen wir lieben? Ist die Kleinfamilie wirklich der Kern allen Übels? Müssen wir auf Persönlichkeitsarbeit verzichten, weil diese zu intrusiv sein kann? Wie gehen wir mit Kindern um, wenn Erwachsene ihre Prozesse machen?

Meine Gedanken zum Film waren so komplex, dass ich nicht mal in der Lage war nach dem Ende Fragen zu stellen. Vor allem, weil ich mir sicher war, dass meine Fragen, als jemand der in einem ähnlichen Spannungsfeld steht, wie es im Film beschrieben wird, 1) zu spezifisch sein würden, als dass sie die restlichen Zuschauer interessieren würden, 2) ich die Beantwortung dieser Fragen nicht Filmschaffenden überantworten kann, sondern sie selbst lösen muss.

Zwei Dinge sind mir nach dem Film klar. Erstens, und das hat gar nichts mit dem Film zu tun, nur, weil es schwierig werden könnte, können wir nicht aufhören zu versuchen neue Strukturen für das Zusammenleben von Menschen zu schaffen. Zweitens der Zweck heiligt nicht die Mittel, aber das hat streng genommen ja auch nichts mit dem Film zu tun. Aber es wird sonnenklar, dass man sich nicht alles erlauben kann und auch nicht alles erlauben sollte, nur, weil mensch sich der Weltrettung verschrieben hat. Für mein Gefühl lässt der Film kein gutes Haar am Leben in einer Kommune und intensiver Persönlichkeitsarbeit. Aber das muss er auch nicht. Er will die Gefahren aufzeigen und das tut er. Er wird auch Wasser auf die Mühlen all derer sein, die der Ansicht sind, dass das alles nicht funktionieren kann und so wie so alles Blödsinn ist. Wahrscheinlich ist das unumgänglich, auch wenn die Crew im Nachgang explizit darauf hinwies, sie sei nicht gegen Utopien und die Versuche sie lebbar zu machen. Doch es ist an uns, wie sehr wir auf das Unverständnis derer schauen, die nichts verändern wollen oder auf die Korrektur jener hoffen, die auf der Suche nach einer besseren Welt zu weit abgedriftet sind.

Ich für mich frage ich mich, wie weit sind wir vom Friedrichshof entfernt? Wir haben keinen Otto, wir versuchen flache Hierarchien. Wir jagen niemandem vom Hof, wenn er sich verliebt hat. Aber wenn der Film eines zeigt, dann das im menschlichen Zusammenleben immer gruppendynamische Scherkräfte auftreten, die die Mitglieder auch zermalmen können. Und alles auf Otto abzuwälzen ist zu einfach gedacht. Zwar sieht die Emanzipation der Jugendlichen vom Guru, wie sie im Film gezeigt wird, gut aus und macht Hoffnung auf ein selbstbestimmtes Leben. Wer aber glaubt, dass wir der Jugend nur genügend Freiheiten lassen muss, damit alles gut wird, dem empfehle ich die Lektüre von ‚Herr der Fliegen‘.


Du kannst alles erreichen was du willst ...
...es mag allerdings sein, dass du dich dafür anstrengen musst.

Last update: 24.10.2023